CINEMA FUTURES

Bereits im September hatten wir hier kurz über den bemerkenswerten Dokumentarfilm „CINEMA FUTURES“ (AUT, 2016) gebloggt.

Der Film beleuchtet, was aus dem analogen Film wurde, als die digtale Technik vor mehr als zehn Jahren ihren Einzug hielt und welche Folgen die Digitalisierung für die Branche und für die, die im Filmgeschäft arbeiten, nach wie vor hat.

Zur Ausstrahlung des Films beim DOK.fest München hat sich Medienexperte Werner Starz exklusiv für diesen Blog nochmals Gedanken zu diesem Film gemacht.

„Wie müssen wir uns die Digitalisierung in den Medien vorstellen? Nicht als den einen Big Bang, der alles über Nacht ändert, sondern als eine Verkettung von Einzelereignissen mit vielen individuellen Auswirkungen. Statt der einen großen Revolution viele kleine  Einzelschauplätze.

Diesen Befund legt zumindest „CINEMA FUTURES“ von Michael Palm nahe. Der Film befasst sich mit der Folge der Digitalisierung für das Kino als Branche, als Medium und nicht zu letzt als Kunstform. Dabei schafft es der österreichische Dokumentarfilmer nicht nur an der Oberfläche zu kratzen, sondern tief in das Wesen des Filmemachens und der menschliche Erinnerungsmechanismen einzudringen.

Zunächst beschäftigt er sich mit dem scheinbar naheliegenden: der Ablösung des Trägermaterials Analogfilm durch digitale Datenträger. Was so harmlos daherkommt bebildert Palm eindrucksvoll mit der Sprengung der ehemals riesigen Film-Produktionsstätten bei Eastman Kodak, wo heute nur noch ein Bruchteil des früheren Ausstoßes an Zelluloidnegativen und -kopien produziert wird. Wir erfahren, dass es nur einem Deal mit der stets auf Optimierung getrimmten Filmwirtschaft zu verdanken ist, dass Kodak nicht die Produktion komplett eingestellt hat. Die Revolution hat ihre Kinder nicht gefressen, aber hält sie sich im Streichelzoo. Ebenso eindrücklich die automatisierten Produktions- und Lagerprozesse rund um die neuen digitalen Kino-Datenträger. Eine Änderung mit weitreichenden Folgen: Martin Scorsese weist darauf hin, dass sich durch die Umstellung auf die digitale Projekton seit Beginn der 2000er Jahre auch das Kräfteverhältnis entlang der alten Wertekette von Produzenten, Verleihern und Spielstätten endgültig in Richtung der Produzenten und Verleiher verschoben hat.

An dieser Stelle würde mancher andere Dokumentarist stehen bleiben. Aber nicht so Palm. Der Linzer denkt in diesem oft an einen Essay anmutenden Film über die Kunstform des Filmens und seines Materials – des analogen Films – nach. Zur Seite stehen ihm dabei herausragende Künstler wie Christopher Nolan („Interstellar“, „The Dark Night“) und Tacita Dean, die die Unmittelbarkeit des Films als künstlerischen Materials nochmals unterstreichen. Während der Belichtung des Negativfilms kommt es zu einer direkten chemischen Reaktion. Das ausgesendete Licht eines Objekt wird physisch auf Film gebannt. Film ist eine Brücke zu den dargestellten Menschen, die bei alten Filmwerken als „Geister“ der Vergangenheit weiter zu leben scheinen. Menschen, mit denen keine Verbindung mehr existiert, deren Wahrnehmung nur noch über den Film rekonstruiert und interpretiert werden kann. Das alles, so eine der Thesen des Filmemachers, kann die digitale Technik nicht im gleichen Umfang leisten.

Im letzten Teil seines Filmes setzt sich Palm folgerichtig vor allem mit den modernen Archivaren und Schützern des historischen Filmerbes auseinander. Eindrucksvoll zeigt ein Mitarbeiter der Library of Congress, welche unterschiedlichen chemischen Tode eine Filmrolle sterben kann. Palm hält dabei die Distanz – auch das ist eine Leistung des Filmes und des Filmemachers. Die Archivare argumentieren stets, dass alles analoge Material zu schützen sei, weil heute noch gar nicht klar sei, welche Erinnerungen für die Zukunft wichtig werden können. Dieser zutiefst menschliche Ansatz wird dann fragwürdig, wenn die Technik-Nerds unserer Tage beginnen jegliche menschliche Medienproduktion – so wie zum Beispiel alle Inhalte des World Wide Web – für die Nachwelt zu sichern. Manche moderne Archive sollen dies bis zu 1.000 Jahren lang  leisten.

Hier schließt sich der Kreis im Film von Michael Palm. Er hat seinen Film mit einer etwas verstörenden langen Kamerafahrt über eine Grab mit menschlichen Skeletten begonnen, das im Natur-Historischen Museum in Wien in einer Vitrine ausgestellt wird. Schon immer haben Menschen offensichtlich versucht, die „Geister“ der Vergangenheit und die Zeugnisse der menschlichen Existenz zu archivieren. Das ironische daran: selbst wenn man die Überreste untersucht und grell ausleuchtet, wie im Wiener Museum, bleibt die Frage unbeantwortet, wie diese Menschen gelebt haben und warum sie starben. Die logische Folgerung für die digitalen Medienarchivare ist: wie viel sie auch sammeln, ein Urteil darüber, was das alles bedeutet, werden ganz allein die zukünftigen Generationen ziehen müssen. Und folgt man Michael Palm, dann werden die digitalen Überlassenschaften, die der Sinnlichkeit des analogen Films beraubt sind, kaum mehr über uns sagen können, als die alten Filme der Brüder Lumière dies über die Menschen der Jahrhundertwende getan haben.“

 

 

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